DIE MAGIER VON MONTPARNASSE: Ein Kammerspiel in sieben Tagen

Montparnasse

Es ist Sonntag, der 26. September 1926 und wir befinden uns im Pariser Künstlerviertel Montparnasse. Genauer gesagt im bescheidenen Hotel „Le Jardin“, das nicht so recht in die opulente Gegend passen will und intime Bühne für die schicksalhaften Ereignisse wird, die sich in den folgenden sieben Tagen zutragen werden. DIE MAGIER VON MONTPARNASSE ist Oliver Plaschkas dritte Romanveröffentlichung und erschien 2010. Sein letztes Buch, DAS LICHT HINTER DEN WOLKEN, stand auf der Shortlist des SERAPH für das beste Buch 2013.

Jeder Tag ist derselbe, alles ändert sich

Ein Bühnenzauber geht schief und der Zauberer Ravi muss echte Magie einsetzen, um sich und seine Assistentin Blanche zu retten. Noch bevor er den Zauber wirkt, ist er sich bewusst, dass dieser Regelverstoß Konsequenzen nach sich ziehen wird. Und ausgerechnet diesen Moment nutzt Blanche, um am Ende der Vorstellung ein magisches Versprechen einzulösen, dessen mächtiges Symbol ein „herbstfarbener Apfel“ ist. Sie fällt in einen tiefen Schlaf, der am nächsten Tag enden soll – doch dieser Tag kommt nicht. Die Société Silencieuse, die über die Einhaltung der Regeln der Magie wacht, hat die Zeit angehalten und zwingt die Welt, den 26. September 1926 wieder und wieder zu erleben.

Die Geschichte der MAGIER VON MONTPARNASSE setzt sich aus vielen Perspektiven zusammen, wobei sich der Zauberer Ravi und die Kellnerin des „Jardin“ Justine vage als Protagonisten definieren, ohne dass sie mehr Erzählraum als andere Figuren erhalten: Da sind der mürrische Hotelbesitzer Alphonse und seine unzufriedene Frau Esmée, der elegante Zauberer Barneby mit seiner geheimnisvollen Begleiterin und der verträumte Schriftsteller Gaspard. Sie alle treffen im „Jardin“ aufeinander und während sich die Zauberer darüber den Kopf zerbrechen, wie sie die Welt retten können, erfahren wir von den persönlichen Geschichten und Geheimnissen, den Beziehungen der Figuren untereinander, die auf ganz eigene Weise den Motor des Romans antreiben. Obwohl jeder Tag der Zeitschleife seinem Vorgänger ähnelt, wird am Ende der Geschichte keiner der Protagonisten der Gleiche sein.

Während Ravi und seine magischen Mitstreiter wider Willen versuchen einen Weg aus der Zeitschleife zu finden, kristallisiert sich mehr und mehr die Rolle heraus, die Justine in diesem Schauspiel belegt. Wie ein Medium zwischen der Welt der Sterblichen und der Magier wird sie zum Spielball der Mächte und geht sogar eine Verbindung zur schlafenden Blanche ein.
Das Rätsel um Blanches Schlaf ist das mysteriöseste und gleichzeitig das symbolischste in dieser an Anspielungen aus Märchen und dem Christentum reichen Geschichte. Trotz des offensichtlichen Vergnügens, das es Plaschka bereitet, seinen Roman damit zu spicken, wirkt nichts davon überladen oder aufgesetzt. So wie seine poetische Sprache selbst, die stets klug und mit augenzwinkernder Leichtigkeit die Atmosphäre der Belle Époque einfängt und jeder Figur eine einzigartige Stimme verleiht, bleibt er bei subtilen Andeutungen, die sich in ihrer Gänze erst ganz zum Schluss enthüllen – oder erst nach mehrmaligem Lesen.
Die Vorstellung dieses Romans fällt mir schwerer als sonst, nicht nur weil die Lektüre schon mehr als ein halbes Jahr zurückliegt. Ich ahne schon, dass mir die eine oder andere Erkenntnis durch die Lappen gegangen ist. DIE MAGIER VON MONTPARNASSE ist eines der seltenen Bücher, nach denen ich gerne noch einmal greifen werde, um mich mit dem Wissen der ersten Lektüre im Hinterkopf, auf die Suche nach neuen Aha-Erlebnissen zu begeben.

Was kommt nun?

Aber es soll nicht nur bei MONTPARNASSE bleiben. Oliver Plaschka wurde schon vielfach als eine ganz besondere Stimme innerhalb der deutschen Phantastik bezeichnet, davon bin auch ich nun überzeugt. Aber die Entscheidung fällt schwer, welchen Roman ich als Nächstes entdecken soll. DAS LICHT HINTER DEN WOLKEN spielt in einer High-Fantasy-Welt – dort habe ich mich schon lange nicht mehr getummelt, DER KRISTALLPALAST ist Steampunk – zurzeit mein „fachliches“ Interessengebiet, FAIRWATER wiederum ist Urban Fantasy – mein ewiger Liebling. Bei so viel Abwechslung (Science-Fiction kann er übrigens auch) ist natürlich auch die Spannung groß, in welchen Gefilden sich der nächste Plaschka-Roman bewegen wird.


Oliver Plaschka: Die Magier von Montparnasse.
Klett-Kotta Hobbit-Presse, 2010 (Heyne, 2011).
Gebunden. 21,95 € (Taschenbuch. 8,99 €).

5 Kommentare

    1. Hmm, wenn du das Buch besitzt, solltest du dir wohl noch mal auf die letzten Seiten anschauen. Aber ich kann deine Konfusion verstehen. Nach der Lektüre bleibt trotz des runden Abschlusses ein gewisses Gefühl der losen Fäden.

    1. Ich könnte mir vorstellen, dass dir das Buch gefällt. Noch mehr könnte ich mir das beim LICHT HINTER DEN WOLKEN vorstellen. Eine sehr gewagte Prognose, zugegeben, basierend auf der Leseprobe des Romans und dem an der Oberfläche kratzenden Eindruck, den ich von dir habe. :)

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