rezension

Geh nicht zu tief hinein in die NACHT OHNE NAMEN

Nacht_ohne_Namen

„… Fließende und Fleischliche schließen gelegentlich Pakte. Wir kriegen was von euch, ihr kriegt was von uns. Realität gegen Fließendes Wort. Das heißt, wir können die Gesetze der Natur für euch ein wenig biegen, dafür kriegen wir was von eurer Realität ab. Wir existieren nämlich nicht von uns aus in dieser Welt. Nur durch euch.“ Er öffnete seine zweite Cola und beobachtete nun sie mit einiger Skepsis. „Du sagst gar nichts.“
„Ich soll doch mit den Fragen warten, bis du fertig bist.“
„Ach so, ja. Im Prinzip bin ich fertig.“
Nicki zupfte an einem Salatblatt, das aus ihrem Wrap regte. Eine Weile schwiegen sie sich an.
„Das Rülpsen hat den Auftritt ruiniert, oder?“, fragte er schließlich.

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DIE SEITEN DER WELT – Kai Meyer spaltet das Seitenherz

Seiten_der_Welt

Origamitiere, die sich von Buchstaub ernähren, aus Büchern gefallene Buchstaben mit Schwarmintelligenz, tragische Exlibri, die bei bibliomantischen Experimenten aus ihren Büchern gerissen wurden und ein Leben am Rande der Gesellschaft fristen, ein Friedhof für Bücher, der gleichzeitig ein Garten ist, in dem sie zu neuem Leben gedeihen, und ganz besonders verlockend: Seelenbücher, die die Macht der Bibliomantik wecken … (mehr …)

Peter Grant vs. Harry Dresden

Fluesse_Sturmnacht

Zwei Urban-Fantasy-Reihen, um die man in der Phantastikabteilung der Buchhandlungen nicht herumkommt: Ben Aaronovitchs Peter-Grant-Serie und Jim Butchers Die dunklen Fälle des Harry Dresden, auch bekannt als The Dresden Files. Von beiden habe ich jeweils den ersten Band gelesen und wurde gut unterhalten. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ein Blick in die Bücher lohnt sich für Freunde von übersinnlichen Ermittlern, die mit der weltlichen Polizei zusammenarbeiten. Trotzdem werde ich beide Serien vorerst nicht weiterverfolgen – aus ein paar simplen Gründen, die ich hier nennen werde. (mehr …)

DIE MAGIER VON MONTPARNASSE: Ein Kammerspiel in sieben Tagen

Montparnasse

Es ist Sonntag, der 26. September 1926 und wir befinden uns im Pariser Künstlerviertel Montparnasse. Genauer gesagt im bescheidenen Hotel „Le Jardin“, das nicht so recht in die opulente Gegend passen will und intime Bühne für die schicksalhaften Ereignisse wird, die sich in den folgenden sieben Tagen zutragen werden. DIE MAGIER VON MONTPARNASSE ist Oliver Plaschkas dritte Romanveröffentlichung und erschien 2010. Sein letztes Buch, DAS LICHT HINTER DEN WOLKEN, stand auf der Shortlist des SERAPH für das beste Buch 2013. (mehr …)

STADT AUS TRUG UND SCHATTEN: Willkommen in Eisenheim

Es war eines dieser Bücher, um die ich bei Erscheinen voller Neugier herumgeschlichen bin, mich aber aus Gründen nicht herangewagt habe. Der Titel, das Cover, eine junge deutsche Fantasyautorin, der Seraph 2013 für das beste Debüt – all das versprach mir verheißungsvolle Lesestunden und die Entdeckung eines neuen Talents. Erst zwei Jahre nach Erscheinungsdatum, als mich ein Buchkaufdrang überfiel, gab ich diesem nach und holte mir Mechthild Gläsers STADT AUS TRUG UND SCHATTEN ins Haus. (mehr …)

Cover-Rant!

Mechthild Gläser Stadt aus Trug und SchattenMechthild Gläser Nacht aus Rauch und Nebel

Dieser Beitrag fing an als Buchvorstellung, der das Thema Cover nur am Rande behandeln sollte. Es hat sich aber so in den Vordergrund gedrängt, dass dies ein Monster-Beitrag geworden wäre, hätte ich die Buchvorstellung noch daran gehängt. Also geht es hier ausschließlich um eines meiner Lieblingsthemen: Die Ästhethik des Buchcovers – und wie ich von ihrem Fehlen manchmal brechen muss – am Beispiel eines frisch erschienenen Romans.

Da links oben. Ist das nicht ein fantastisches Cover? Ein blütenweißes Buch von vorne bis hinten mit einem eingravierten Titelbild in tiefrosa Tinte, das an einen kunstvollen Linolschnitt erinnert. Aufgeschlagen blendet das gleiche intensive Pink als wolle es mit seiner Farbpracht den Buchtitel Lügen strafen: STADT AUS TRUG UND SCHATTEN ist Mechthild Gläsers Debütroman, der 2012 im Loewe Verlag erschien, und von einer grauen Traumstadt namens Eisenheim erzählt. Und daneben das Cover des zweiten Teils der Dilogie, das den ebenso schmucken Kontrast zum ersten bildet. (mehr …)

Eitle Zauberer, furchtsame Feuerdämonen und toughe alte Damen

Was ist das Einzigartige an HOWL’S MOVING CASTLE? Es ist so schmal und enthält dabei so viel! Für mich ist es ein perfektes Buch. Perfekte Bücher lösen auf jeder Seite ein Gefühl der Befriedigung und des Glücks aus. Sie fühlen sich an als seien sie für mich persönlich geschrieben worden, weil sie die exakte Rezeptur dessen enthalten, nach dem mein Leserherz hungert. Kennt noch jemand ein perfektes Buch? (mehr …)

JONATHAN STRANGE & MR NORRELL: Auf feenhaften Abwegen

Neil Gaiman sagt auf meiner Ausgabe von Susanna Clarkes JONATHAN STRANGE & MR NORRELL: „Unquestionably the finest English novel of the fantastic written in the last seventy years.“ Als ich das Buch zuschlug und benommen versuchte, meine Gefühle zu ordnen, konnte ich ihm nur Recht geben.

Die Profession des Zauberers ist eine äußerst respektable Beschäftigung für die Herren der Oberschicht im England des 19. Jahrhunderts: In elitären Kreisen versammeln sich ernsthafte Männer, um in endlosen Diskussionen und hochakademischen Essays der Natur der Magie auf die Schliche zu kommen – doch ihre Wissenschaft bleibt eine theoretische. Seit hunderten von Jahren hat es keinen praktizierenden Zauberer mehr gegeben. Ganz britischer Pragmatismus hat man sich damit abgefunden, dass die Situation so ist, wie sie ist. (mehr …)

TOCHTER DER ASCHE: Eine Phoenix in Hamburg

Vor wenigen Wochen, im Oktober, wurden die Gewinner des diesjährigen Deutschen Phantastik Preises bekannt gegeben. Das Buch, das in der Kategorie Bester deutscher Roman gewonnen hat, ist PHOENIX – TOCHTER DER ASCHE von Ann-Kathrin Karschnick. Dank einer wundervollen Wanderbuch-Aktion in einem wundervollen Schreibforum durfte ich den Roman, der bereits im Oktober letzten Jahres erschienen ist, lesen. Die Autorin beschreibt ihren Romans selbst als „Teslapunk-Dystopie-Krimi mit romantischen Ansätzen“ (Quelle: Feathergames) und diese knappste aller Genre-Bezeichnungen trifft es auf den Punkt. (mehr …)

NACHTSONNE von Laura Newman: Meine erste selbstverlegte Lektüre

In einer alternativen Zukunft ist das Leben auf der Erde bedroht. Das Ende der Sonne naht und bevor sie erlischt, dehnt sie sich zu einem Roten Riesen aus, der mit seiner Strahlkraft die Temperaturen auf der Erdoberfläche rasend schnell in die Höhe treibt. Seit mehreren Generationen schon lebt ein kleiner Rest der Menschheit in einer ausgeklügelten unterirdischen Behausung, genannt HUB 1, und hat seitdem das Tageslicht nicht mehr gesehen.

https://i0.wp.com/ecx.images-amazon.com/images/I/51OiLAjRbTL.jpgNova ist ein junges Mädchen, dem das Leben vor der Evakuation etwas völlig Unbekanntes ist. Sie fühlt sich aufgehoben im HUB und ist überzeugt davon, dass diese Lebensform für sie und die restlichen fünftausend Menschen in der unterirdischen Siedlung die beste Lösung ist. Ihr behütetes und geordnetes Leben gerät aus den Fugen, als ihr Arbeitskollege Marzellus eine unglaubliche Entdeckung macht: Ein zufällig belauschtes Gespräch lässt vermuten, dass noch weitere HUBs existieren. Das bedeutet, dass die Menschen in HUB 1 möglicherweise nicht die einzigen Überlebenden auf der Erde sind.

Bevor Nova und ihre Freunde dem Gerücht nachgehen können, überschlagen sich die Ereignisse. Ihre heile Welt gerät aus den Fugen, als sie als Verräter vor Gericht gestellt und zu Tode verurteilt werden. In letzter Sekunde gelingt ihnen die Flucht, doch der einzige Weg, ihrer Hinrichtung zu entgehen, führt nach draußen – ins Feuerland.

Wie kam ich zu diesem Buch?

FLUCHT INS FEUERLAND ist der erste Teil der fast abgeschlossenen NACHTSONNE-Chroniken von Laura Newman. Die Bremer Autorin hatte ihr Debüt mit dem Zweiteiler TIME TRAVEL INC., der sich um das Zeitreisen dreht. Für mich war FLUCHT INS FEUERLAND sowohl der erste Roman von Laura Newman als auch der erste einer selbst verlegenden Autorin. Was war ich gespannt!

Über eine YouTube-Buchrezension stolperte ich über das Debüt der Autorin und war gleich angetan von ihrer Art, wie sie ihre Bücher vermarktete. Sie ist gelernte Mediengestalterin und weiß ihr Handwerk zu nutzen. Vom Cover bis zur Autorenhomepage zieht sie in puncto Design die Bewerbung ihrer Bücher professionell und ansprechend auf. Ich gebe zu, ich lasse mich von Äußerlichkeiten – zumindest was selbstverlegte Bücher angeht – schnell locken, oder andersherum gesagt: Ich bin ein ästhetisch pingeliger Mensch und habe kein Erbarmen mit geschmackloser Buchgestaltung. Wie dem auch sei: Ich erwählte FLUCHT INS FEUERLAND als mein Selfpublisher-Testbuch.

Eine reizvolle Idee, die an der Umsetzung scheitert

Das Thema, das NACHTSONNE zugrunde liegt, eine Sonne, die langsam die Erde verbrennt, hat unheimliches Potential für eine rasante dystopische Geschichte. Zu einer repressiven Sozialstruktur, unter der die Protagonisten leiden, gesellt sich eine Naturkatastrophe, vor der es kein Entrinnen gibt. Die Flucht ins Feuerland geschieht also nicht nur vor dem Todesurteil, sondern bedeutet vor allem einen Wettlauf gegen die Zeit.

Ungewöhnlicherweise, aber durchaus passend für actiongeladene Science-Fiction mit einem Schuss Gefühl, erzählt die Protagonistin Nova ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive und im Präsens. Von der ersten Seite an ist man in der Geschichte drin, Informationen gibt es häppchenweise und wenn sie gerade relevant sind. Allerdings hat sich die Autorin mit diesem Stilmittel selbst Steine in den Weg gelegt. Die Art der Erzählperspektive ist alles andere als einfach und verlangt größte Aufmerksamkeit und ein paar erzählerische Kniffe, damit die Geschichte nicht Gefahr läuft, zur Berichterstattung zu werden.

Eine Welt ohne Sinnlichkeit

Das nämlich ist das Problem. Es mangelt am szenischen Erzählen. Es mangelt so stark daran, dass ich behaupten würde, es ist gar nicht vorhanden. Nova, die Erzählerin, erklärt nicht nur ihre Welt, sie erklärt auch ihre eigenen Gefühle, die ihrer Freunde und macht Prognosen zu deren Gedanken. Statt die Figuren und die Geschehnisse durch Handlung für sich selbst sprechen zu lassen, nimmt die Erzählstimme dem Leser alle Möglichkeiten, die eigene Vorstellungskraft einzusetzen.

Dazu kommt, dass wir kaum etwas zu Äußerlichkeiten erfahren. Am Ende des Buchs hatte ich kaum eine Vorstellung vom Aussehen der Figuren und von der Atmosphäre in den HUBs oder im Feuerland. Ich habe weder den Staub des Feuerlands gerochen, noch unter dem künstlichen Licht in HUB 1 gefroren, habe keine Erschöpfung und keinen Schmerz verspürt, nicht das Aroma des gefilterten Wassers oder das eines mehligen Apfels geschmeckt; mir fehlten Numes brennende Tränen um Mailo und Novas Herzklopfen für Joaquim. Wo war die unerträgliche Hitze der riesigen blendenden Sonne, die mich in die Knie zwang und mir die Luft abschnürte? Nichts davon durfte ich erleben. Wie schade, wie unbefriedigend.

Zukunft als Autorin?

Wenn es schon am Wesentlichen hapert, darf man davon ausgehen, dass weitere erzählerische Schwächen, wie blasse eindimensionale Charaktere, ein flacher Spannungsbogen und eine vorhersehbare Handlung, nicht weit sind. Es ist schade um die Idee und um den Aufwand, der betrieben wird, um die Bücher bekannt zu machen. Was die NACHTSONNE-Bücher brauchen, ist eine Rundumerneuerung, eine komplett überarbeitete Fassung.

Bevor Laura Newman also ihre nächste Trilogie veröffentlicht – sie schreibt nämlich recht schnell, wäre ihr geraten, sich zunächst mit dem Schreibhandwerk auseinanderzusetzen, also eine mit literarischen Texten erfahrene Lektorin heranzuziehen und ein paar Creative-Writing-Ratgeber zu wälzen. Ich bin sicher, dass Laura Newman mit etwas mehr Hintergrundwissen zu Regeln und Kniffen des Schreibens, in der Lage wäre, solide unterhaltsame Geschichten zu schreiben. Sonst bleiben ihre Bücher Eintagsfliegen, deren schicke Cover zwar eine erste Schar Leser anziehen, aber inhaltlich schnell vergessen sind.


Laura Newman. Nachtsonne – Flucht ins Feuerland.
Amazon Media EU, 2014.
eBook. 2,99 €.