STADT AUS TRUG UND SCHATTEN: Willkommen in Eisenheim

Es war eines dieser Bücher, um die ich bei Erscheinen voller Neugier herumgeschlichen bin, mich aber aus Gründen nicht herangewagt habe. Der Titel, das Cover, eine junge deutsche Fantasyautorin, der Seraph 2013 für das beste Debüt – all das versprach mir verheißungsvolle Lesestunden und die Entdeckung eines neuen Talents. Erst zwei Jahre nach Erscheinungsdatum, als mich ein Buchkaufdrang überfiel, gab ich diesem nach und holte mir Mechthild Gläsers STADT AUS TRUG UND SCHATTEN ins Haus.

Das Doppelleben der Träumenden

https://i0.wp.com/www.loewe-verlag.de/_cover_media/titel/648h/4428.jpgFlora führt das geordnete Leben einer Siebzehnjährigen mit Schule, bester Freundin, erstem Ex-Freund und einer normal-verrückten Familie. So denkt sie jedenfalls. Bis ihr Bewusstsein beginnt, ihr Streiche zu spielen. Mitten am Tag hat sie plötzliche Aussetzer – Tagträume, die sie überfallen und auf unheimliche Weise überaus real wirken. Und dann ist da noch diese entsetzliche Müdigkeit … Als sie eines Abends völlig erschöpft in ihr Bett fällt und augenblicklich einschläft, findet sie sich in einer anderen Welt wieder. Schnell wird ihr klar, dass sie nicht in einem gewöhnlichen Traum steckt, sondern in Eisenheim erwacht ist, dorthin, wo alle schlafenden Seelen gelangen. Doch statt dem willenlosen Schatten ihrer selbst, zu dem Menschen in Eisenheim werden, ist Flora bei vollem Bewusstsein. Und sie entdeckt, dass das Leben in Eisenheim alles andere als „traumhaft“ ist.

Wenngleich keine innovative Idee, so ist die Vorstellung einer Parallelwelt, die wir während unseres Schlafs bereisen, immer wieder reizvoll und magisch. Schlaf, Traum, Trance – in diesen seltsam entrückten Zuständen, da unser Geist vom Körper gelöst scheint, sind wir unserer Vorstellung vom Magischen am nächsten. Das Übersinnliche bleibt immer unkontrollierbar, unfassbar für uns – im Schlaf sind wir dieser fremden Macht ausgeliefert. Mechthild Gläser spielt mit dem Mythos, der sich um Schlaf und Traum rankt, und zeigt uns eine Welt, die uns mit Unbehagen erfüllt. Wer kann schon sagen, ob wir nicht wirklich zu willenlosen Marionetten in Eisenheim werden, wenn uns die Müdigkeit übermannt?

Zwischen Debüt-Patzern und sprühender Fantasie

Ich hatte mir mehr erhofft aus der Gestaltung dieser Welt, die grau in grau daherkommt und einen melancholischen Geschmack trägt, wie er in MOMO oder ähnlichen Geschichten zu finden ist. Der stimmungsvolle Prolog und Floras erste Erlebnisse in Eisenheim waren wie ein Versprechen auf mehr Details von dieser geisterhaften Welt, das sich für mich leider nicht erfüllt hat. Stattdessen verschob sich der Fokus der Geschichte auf die von Schwierigkeiten und Geheimnissen geplagte Beziehung zwischen Flora und einem mysteriösen Jungen namens Marian.

Ich räume ein, dass ich nicht mehr die Zielgruppe für ein Jugendbuch bin. Das spielt natürlich eine Rolle, aber es ist ein schwaches Argument. Schließlich gibt es immer noch Jugendbücher – wie HARRY POTTER oder Jenny-Mai Nuyens und Kai Meyers Werke, die mich an jede Seite fesseln. Was mich an STADT AUS TRUG UND SCHATTEN gestört hat, waren die Sprache der Figuren und die Themen ihrer Unterhaltungen: die allzu slanghaften, bemüht lebensechten Dialoge und das Hin und Her typischer Teenie-Situationen. Das hatte auch zur Last, dass die Handlung irgendwann nur noch zäh vorankam, weil Flora von ihren Gefühlen überfordert war, und dann einen abrupten Endspurt fand, der mich kalt ließ. Ich wurde nicht warm mit den Figuren, die zwar sympathisch waren, aber trotzdem austauschbar, und so fiel es mir schwer, mit ihnen mitzufiebern.

Trotz aller Geheimnisse und Gefahren, die Eisenheim birgt, wurde das Potential, das diese Welt bietet, nicht voll ausgeschöpft. Weil aber an anderen Stellen der Fantasiereichtum und das sprachliche Vermögen der Autorin durchbrechen, vermute ich, dass die „Teeniehaftigkeit“ und der flache Spannungsbogen der Unausgereiftheit des Debütromans anzulasten sind. Ein Debütroman ist eine schwierige Geburt und weil man auf alle Details achten will, kann es sein, dass das große Ganze aus dem Fokus gerät. Das zumindest ist der Eindruck, den Mechthild Gläsers Debütroman bei mir hinterlässt.
Mehr atmosphärisches und gefährliches Eisenheim, weniger Teenie-Kram, das hätte ich mir gewünscht. Aber auch wenn mich STADT AUS TRUG UND SCHATTEN nicht überzeugen konnte, behalte ich die Autorin im Auge. Ich habe mir die Leseprobe zu ihrem neuen Jugendbuch DIE BUCHSPRINGER durchgelesen und hatte den Eindruck, dass sprachlich ein erheblicher Entwicklungssprung stattgefunden hat. Ich werde also abwarten, was da weiter aus der Feder von Mechthild Gläser fließt.


Mechthild Gläser: Stadt aus Trug und Schatten.
Loewe Verlag, 2012.
Gebunden. 17,96 €.

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