Das Diebesgut

Ich habe etwas gestohlen, das ich wieder zurückgeben will. Ich weiß nicht, was ich mir dabei dachte, es zu stehlen. Es war dieser Augenblick der Leichtsinnigkeit, der blinden Gier, in der alles egal ist, Hauptsache man besitzt es, Scheiß auf die Konsequenzen, Scheiß auf den Bestohlenen. Es war dieser Augenblick, in dem man denkt, es ist nur dafür da, um gestohlen zu werden, da man sonst etwas verpassen würde.

Es war dieser Augenblick – von wegen.

Es fing mit dem Augenblick der Leichtsinnigkeit an, ich fühlte mich draufgängerisch und auf diese sinnliche Weise böse, der man nicht widerstehen kann. Zumindest nicht als Dieb. Und ich hatte bis zu diesem Moment nicht einmal gewusst, dass ein Dieb in mir steckt. Aber es gefiel mir und ich unterlag der Versuchung mit einem Lächeln als würde ich bei vollem Bewusstsein handeln. Doch dieses Gefühl war kein Augenblick, es hielt an und wurde größer – weil ich meine Hände auf das Diebesgut legte und damit geschickt spielte, es hin und her warf, auffing knapp über dem Boden und es liebkoste. Vor den faszinierten Augen seines Besitzers, der es mir bereitwillig lieh, weil er es gerne teilte mit Anderen.

Ich wusste auch nicht, wie mir geschah, dass ich es schließlich ganz stahl, obwohl mir von Anfang an klar war, dass ich es gar nicht besitzen wollte, dass mir nur die Bewunderung gefiel, mit der sein Besitzer mir beim Spielen zusah. Doch ich stahl es in einer Sommernacht, als es ganz leicht ging, ich stahl es ihm direkt aus der Hand weg, mit einem Zaubertrick, der die Krönung meiner Spielkunst war.

Ob er in diesem Moment merkte, dass es nicht mehr ihm gehörte, weiß ich nicht. Die diebische Arroganz redet mir ein, dass er sich freiwillig bestehlen ließ. Somit wäre es also kein richtiger Diebstahl, vielmehr eine erspielte Beute. Ein Gewinn. Und da zählt nur die Tatsache an sich: der Sieg, nicht der eigentliche Gewinn.

Wer beim Sport die Goldmedaille gewinnt, ist unheimlich stolz auf dem Siegerpodest zu stehen und das Gefühl zu haben, etwas Großes erreicht zu haben. Die Goldmedaille, die da um den Hals baumelt und nicht einmal aus echtem Gold ist, ist von geringer Bedeutung. Sie ist der Beweis, die Trophäe, die man zufrieden betrachten kann.

Ziemlich schnell verstaubt die Goldmedaille im Regal und wird zu einer alltäglichen, übersehenen Dekoration, wie die Holzente aus China oder die Maske aus Venedig …

Er fand, es stünde mir gut und bot mir an, es öfter zu tragen, wenn ich gut damit umginge. Ich willigte ein mit einem Lächeln, das vertraulich wirkte. Obwohl ich immer gewusst hatte, dass es bei mir nicht gut aufgehoben sein würde, weil ich es unrechtmäßig an mich gerissen hatte, glaubte ich, die Kontrolle zu haben. Bevor es kaputt gehen konnte, wollte ich es wieder zurückgeben. Eine Weile ging es gut und ich trug es in der Tasche, wenn wir manchmal spazieren gingen. Auch wenn wir beide wussten, dass ich es gestohlen hatte, tat ich meistens so als hätte ich es gar nicht bei mir. Wie? Ach, das Ding. Nein, du musst dich irren, es ist mit Sicherheit noch bei dir.

Ihn störte, dass ich bestritt es zu besitzen, mehr als die Tatsache, dass ich es gestohlen hatte. Ehrliche Diebe sind lieber gesehen als unehrliche. Das macht das Stehlen schlimmer. Aber ich, immer noch überzeugt davon, es nur als ausgeliehen zu handhaben, machte mir keine Sorgen.

Ich liege auf dem Rücken im Wasser, stumme kleine Wellen brechen an meinen Armen und Beinen. Ich habe es mir um den Hals gelegt. Manchmal schleife ich es hinter mir her, wie ein Kind, das seinen Stoffhund Gassi gehen führt. Durch Staub und Matsch, über Asphalt und Gras, von einem ausschweifenden Fest zum nächsten. Dabei baumelt es traurig um meinen Hals, weil ich es satt bin und nur noch Befriedigung darin finde, wenn ich es misshandle. Es ist empfindlicher als ich dachte, das Ding, und ich fürchte, wenn ich es endlich zurückgebe, dass es ziemlich lädiert und verbraucht aussehen wird. Ich wusste nicht, dass es so schnell kaputt gehen konnte. Mir war nicht klar, dass es aus solch sensiblem Material besteht, weil ich vorher nie eines gestohlen hatte. Ich denke, man wird es reparieren können, auch wenn die Risse sichtbar bleiben werden. Aber es wird wieder funktionieren, denke ich.

Und irgendwann wird mir der Bestohlene hoffentlich meine Tat verzeihen können.

Heimlich bei Nacht und Nebel werde ich es in den Briefkasten legen mit einem hastigen Brief, dass es mir leid täte, es kaputt gemacht zu haben und dass ich so etwas bestimmt nicht wieder täte, weil ich gelernt hätte, dass Stehlen auch nicht glücklich macht. Ich werde schreiben:

Lieber M., ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du eine liebevolle Schneiderin findest, die es wieder zusammenflickt. Leider bin ich nicht diese Schneiderin.

N.


(c) Aileen Kopera

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