Peter Grant vs. Harry Dresden

Fluesse_Sturmnacht

Zwei Urban-Fantasy-Reihen, um die man in der Phantastikabteilung der Buchhandlungen nicht herumkommt: Ben Aaronovitchs Peter-Grant-Serie und Jim Butchers Die dunklen Fälle des Harry Dresden, auch bekannt als The Dresden Files. Von beiden habe ich jeweils den ersten Band gelesen und wurde gut unterhalten. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ein Blick in die Bücher lohnt sich für Freunde von übersinnlichen Ermittlern, die mit der weltlichen Polizei zusammenarbeiten. Trotzdem werde ich beide Serien vorerst nicht weiterverfolgen – aus ein paar simplen Gründen, die ich hier nennen werde.

Wer ist Peter Grant?

Peter Grant ist der Protagonist seiner eigenen Geschichte, die mit DIE FLÜSSE VON LONDON ihren Anfang nimmt. Als mittelmäßiger Absolvent der Londoner Polizeischule sieht er sich frustriert einer Zukunft als Aktenwälzer gegenüber, bis er eines Nachts von einem Geist angesprochen wird. Sein magisches Talent, von dem er bis zu diesem Zeitpunkt keinen Schimmer hatte, wird sofort erkannt von Polizeiinspektor – und Zauberer – Thomas Nightingale, der ihn unter seine Fittiche nimmt und einen Zaubererlehrling aus ihm macht.

Wer ist Harry Dresden?

Im Gegensatz zu Peter Grant hat Harry Dresden, der mit STURMNACHT seinen ersten Auftritt hat, ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel – auch wenn sie ihm nicht anzusehen sind. Er ist bereits ein erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Zauberer. Selbstständig kümmert er sich darum, wenn die Welt des Übersinnlichen böse Sachen anstellt, arbeitet aber auch mit der Chicagoer Polizei zusammen und nimmt Aufträge von privaten Kunden an. Ein Ein-Mann-Büro also, eine Art dunkler Held, der die Monster unserer Welt jagt.

London und Chicago: Es wimmelt von Magie!

Die Grundstimmung von DIE FLÜSSE VON LONDON ist etwas leichter und lockerer, während STURMNACHT durchgehend in Düsternis und Kälte gehüllt wirkt. Peter tappt überfordert, aber voller Tatendrang durch das sommerliche London und schwitzt in der Hose, wenn er auf verführerische Flussgottheiten trifft, während sich über Harry dunkle Regenwolken und dämonische Stürme zusammenbrauen.

Als häufige Londonbesucherin und zeitweise -bewohnerin hatte ich mich darauf gefreut, London durch das Auge der Phantastik wiederzuentdecken, aber leider blieb der Charakter dieser facettenreichen Stadt auf der Strecke. Auch Chicago konnte mir von Harry Dresden nicht näher gebracht werden. Zu sehr sind die Protagonisten in ihre Belange mit dem Übersinnlichen verstrickt, als dass für die Berührung mit dem Alltäglichen noch Raum bleiben würde. Wie das in diesen brodelnden Metropolen möglich sein soll, ist mir schleierhaft. Ein Kapitel jedoch aus DIE FLÜSSE VON LONDON ist mir in Erinnerung geblieben, das unter der „Fantasy-Glocke“ hervorkriecht und plötzlich einen anderen Ton anschlägt. Als Peter für kurze Zeit in sein leeres Elternhaus zurückkehrt und uns in Erinnerungen an dem komplizierten Verhältnis zu seinen Eltern teilhaben lässt, tut sich die charakterliche Tiefe seiner Figur auf wie ein ganzes Haus, das erkundet werden will. Dass seine Familie noch eine Rolle spielen wird in den Folgebänden, scheint unabdingbar. Leider konnte es mich aber nicht überzeugen, dass das Thema im ersten Band so abgegrenzt von der Hauptgeschichte behandelt wird.

Männerfantasien?

Leittragend in beiden Geschichten sind Humor und Action, wobei sich DIE FLÜSSE VON LONDON mehr ersterem zuneigt und STURMNACHT letzterem. Eine gern gewählte Kombination in Literatur und Film, um den „tough guy“ zu porträtieren, der Harry Dresden ist und Peter Grant werden will. Leider habe ich es mit dieser Kombination nicht so, sie ist mir auf allen Ebenen zu flach und vorhersehbar und suggeriert einen Chauvinismus, zu dem ich keinen Zugang finde und finden will. Wie überraschend … In diesem Zusammenhang darf auch die dritte Stütze des literarischen Chauvinismus‘ nicht zu kurz kommen: Frauen. Frauen sind sowohl bei den FLÜSSEN VON LONDON als auch bei STURMNACHT hauptsächlich Objekte der Begierde. Musste ich bei Peter mitleidig dabei zusehen, wie er vor jeder attraktiven Frau eine Latte bekam, konnte ich bei Harry schließlich nur mit den Augen rollen, weil ihm jede geheimnisvolle Schöne zu Füßen lag. Existieren in Harry Dresdens Welt überhaupt durchschnittliche Frauen? Wahrscheinlich nicht, aber die sich wiederholende und gegenseitig übertrumpfende Attraktivität machte sie alle zu blassen Pappfiguren. Einzig interessant blieb die Vampirin Bianca, die unter ihrer perfekten Fassade ein wahrlich grauenhaftes Antlitz verbirgt. Und plötzlich kann auch Harry sie in ihrer menschlichen Gestalt nicht mehr schön finden. Armer traumatisierter Harry.

Mein Wunsch an das Genre

Es sind also diese drei Dinge, die mir die Entscheidung leicht gemacht haben, beide Reihen nicht weiterzulesen: Humor und Action und das Frauenbild beziehungsweise die männerdominierte Perspektive. Da sich DIE FLÜSSE VON LONDON in dieser Hinsicht aber in erträglicherem Maße bewegte und mir auch die Handlung insgesamt eher zusagte, rangiert es an etwas höherer Stelle als STURMNACHT. Vielleicht, vielleicht werfe ich irgendwann einen Blick in den zweiten Band.

Trotz aller wunderbaren Argumente will ich noch einmal betonen, dass dies eine sehr subjektive Meinung ist und beide Bücher einen soliden Schmökerspaß bieten. Ich verstehe, warum die Serien um Peter Grant und Harry Dresden so viele Fans haben. Mit diesem Eintrag will ich hauptsächlich aufzeigen, was ich von einer guten Urban-Fantasy-Geschichte erwarte und was mich an vielen Exemplaren dieser Gattung stört. Ich will die Verschmelzung einer zeitgenössischen Geschichte mit der Phantastik, keine Superhelden vor einer städtischen Kulisse unserer Zeit. Ich will politische Themen, soziale Ungerechtigkeit und Minderheiten und ihre Übertragung auf das Übersinnliche. Ich will lebensechte Figuren, die in der Welt verankert sind, in der auch ich lebe, und die die Konfrontation mit dem Übersinnlichen nur noch facettenreicher macht. Jeder Urban-Fantasy-Fan hat eigene Wünsche an das Genre, und das sind meine. Sie stellen eine gewisse Herausforderung an Autoren, klar, aber für mich ist das Meistern dieser Herausforderung und vor allem das Bewusstsein der Leser für das Potential dieses Genres ein wichtiger Schritt für die Emanzipierung der Fantasyliteratur.

Ein Kommentar

  1. Ich mag beide Reihen, bin aber schon mehrere Bände weiter und kann sagen: die Reihe um Harry Dresden entwickelt sich im Verlauf stärker. Vom ersten Band war ich auch noch mäßig begeistert, aber die Bücher haben sich tatsächlich gesteigert, werden auch immer umfangreicher. Ich glaube, erst der sechste hatte mich dann wirklich überzeugt ;-)

    Peter Grant lese ich jedes Jahr zum Erscheinen wieder gerne, aber diese Reihe bleibt etwa auf dem Niveau des ersten Bandes. Für mich sind die weiblichen Charaktere übrigens nicht so wichtig und stören mich daher auch nicht.

    Politische und soziale Themen binden andere Autoren aber sicherlich auf tiefgründigere Weise ein – China Miéville zum Beispiel.

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